K.

Sie und der Wald 

Sie und der Wald von Anaïs Barbeau-Lavalette, Diogenes Verlag

Während der Pandemie im Lockdown suchen inmitten der kanadischen Wälder zwei Paare und fünf Kinder Zuflucht. Anaïs, die Erzählerin, findet sich wieder im »Blauen Haus« ihrer Kindheit, was schöne Erinnerungen, aber auch tiefe Wunden weckt. In der Zeit der existenziellen Verunsicherung findet sie Halt und Trost. 

Dieses Buch ist poetisch, kraftvoll, weise – eine Hymne an die Natur, an Sinnlichkeit und weibliche Kraft. Mal sind es Erinnerungen wie weiches Moos, dann knorrige Geschichten wie alte Äste. Wir begegnen blühender Vergangenheit, beinah vergessenen Rückblicken, die aber wieder mit grünen Triebe trotzen. Es geht über Bäche mit klarem Blick ins tiefe, bunt schillernde Wasser und durch braunen Schlamm, der aufwühlt. 

Anaïs lässt die Wildnis ihren Kinder die Schule ersetzen. Sie lernen Nadelbaumzweige zu bestimmen. Schwarzfichte, Hemlocktanne, Amerikanische Rotkiefer… sogar die Kleinste zieht Zweige aus dem Weidenkorb und benennt sie einem nach dem anderen. Und ist stolzer als nach den ersten Metern auf dem Fahrrad. Es ist die Geburtsstunde einer neuen Sprache. Kind sein dürfen, Geheimnisse erforschen, phantasieren, Leben und Tod erfahren. Tiere retten, Tiere beerdigen müssen. Glück, Trauer, dicht beieinander. 

Nachvollziehbar auch die Herausforderung der Erwachsenen, die manchmal auf dem engen Raum keine Luft bekommen. Jeder seine Höhle, seinen Rückzug suchend. Zitat: „Ich streife durch den Kiefernwald meiner Kindheit. Von den Kiefernnadeln tropft ein unsichtbarer Regen aus Molekülen… die Wissenschaft hat entdeckt: sie machen glücklich.“

Beeindruckend wie Anaïs ihre Stärken und Schwächen offenbart. Die manchmal selber ausreißen muss, immer zurückkehrt. Dem Leser das Haus ihrer Kindheit in dieser Wildnis vorstellt, mit schrägen Käuzen und Eremiten. Menschen, die eigentlich alle das gleiche suchen, so unterschiedlich sie auch sind.

Zitat: „Durch unsere Adern fließt der Wald. …es gibt keine Türen und Wände mehr…keine Grenzen. Wir sind zusammen, verwoben mit allem anderen, was lebt. Verletzlich. Verwurzelt. Wundersam geheilt“

Ein wunderbares Buch! Ich war sehr ergriffen!