K.

Gotthard

von Zora bel Buono, Diogenes Verlag

Fritz Bergundthal, Einzelgänger, und Trainspotter aus Berlin reist an den Gotthard-Tunnel um seine geliebten Züge zu fotografieren. Seine zweite Leidenschaft gilt Zahlen und Statistiken. Das Errechnen der Toten, die es beim Tunnelbau gegeben hat. wieviel gesamt, wie viele pro Jahr und durchschnittlich pro Kilometer … ein schräger Kauz. In diesem Buch aber wahrlich nicht der einzige.

Zora del Buono gibt vielen, solcher Figuren in „Gotthard“ ihre Stimme.

Für alle ist und war der Gotthard-Tunnel Arbeitsplatz und Schicksalsort mancher Tragödie.

Da ist der ehemalige Konditor Robert Filz. Er hat die heiße Backstube mit der oft unerträglichen Hitze im Tunnel als Bau-Lokführer eingetauscht und ist damit glücklich. Filz ist zudem Erotomane, fantasiert in jeden Gesteinsbrocken Brüste, denkt ständig an Sex, wenn er die Lok tief in den Tunnel rangiert und ist als Stammgast im örtlichen Bordell sehr beliebt.

Oder Dora Polli, ehemalige Chefin der Baustellenkantine und somit Herrscherin über hunderte, nicht nur nach Futter schmachtenden Arbeitern Dieser Zeit als Vollblutweib, die diese Männern zusätzlich ins Schwitzen brachte trauert sie nach. Lässt sich aber nicht nehmen im bergigen Geröll mit hochhackigen, knallgelben Stilettos umher zu stöckeln und auch unserem Bergundthal Protagonisten manchen Blick zwischen die Beine zu gewähren.

Ihr Mann Aldo Polli, seit der Beendigung des Tunnelbaus arbeitslos, rast auf seinem schwarzen Mofa die Haarnadelkurven hoch und runter, fühlt sich dabei jung und frei. Dass er seinen Geldbeutel mit illegalen Drogengeschäften auffrischt, bleibt sein kleines Geheimnis.

Des Weiteren tauchen in diesem skurillen Figurenkabinett noch die lesbische Tochter der Pollis, Flavia in ihren erotischen spitzen Cowboystiefeln auf. Sie ist Lastwagenfahrerin für die demontierten Bohrmaschinenteile für Kerle unerreichbar, selber schmachtend nach der brasilianischen Prostituierten Monica.

Alle diese und weitere schicksalshafte Helden sind eng miteinander verknüpft, als wenn der große Tunnel sie allesamt verschluckt hätte und nun wieder ausspuckt. Wie beim Tunnelbau greift ein Rädchen ins andere, bohrt sich in intime Details. Atemberaubend, kurzweilig und raffiniert, bieten diese 156 Seiten eine Reise in ein Figurenpanorama der anderen Art.