K.

Fünf Viertelstunden bis zum Meer

Das Büchlein „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ verlockt schon durch seinen schönen Titel!

Und verspricht damit nicht zu viel. Ziemlich genau 75 Minuten nimmt einen diese kleine Lektüre mit und man taucht wirklich ab in eine sinnliche, melancholische Liebesgeschichte. 

Sie beginnt im Sommer 1945 am südlichen Zipfel Italiens am Strand von San Cataldo. 

Kurz nach dem Krieg gibt es kaum Arbeit und so verbringt der zwanzigjährige Ezio mit seinem Bruder die Tage am Strand. Sie beobachten Frauen in Badeanzügen, damals natürlich hochgeschlossene Einteiler. Aber beflügelt durch die Phantasie dieser beiden jungen Kerle, eine aufregende Abwechslung. 

Eines Tages entsteigt den Wellen die schöne, junge Giovanna in einem, in der Mitte nach einem lautstarken Streit mit ihrer Schwester zerrissenen Badeanzug. Der schüchterne, unerfahrene Ezio steht sofort in Flammen, verliert sein Herz an diese selbstbewußte, freiheitsliebende donna pugliese und vor allem ihren sichtbaren Nabel. Ein einziger Satz kommt spontan, stotternd aus seinem sprachlosen Mund: „Darf ich dich küssen?“ Ein Moment in diesem Buch, wo die Stille, die folgt fast zu hören ist.

Aber das für Ezio unglaubliche passiert: die selbstbewußte, lebendige Giovanna lässt sich auf ihn ein und die beiden verbringen einen aufregenden gemeinsamen Sommer der ersten Liebe. Das wird so herrlich aufregend und lebendig beschrieben, dass man fast den warmen Sand an den Füßen zu spüren meint und Sehnsucht nach der eigene vergangenen Jugend aufleben lässt. 

Zweimal macht Ezio, der die Liebe seine Lebens gefunden zu haben meint, Giovanna einen Heiratsantrag. Doch diese werden von seiner Angebeteten wortlos abgelehnt, indem sie jedesmal wie ein Delphin in den Wellen untertaucht. Tief verletzt, in seiner Liebe unerhört beschließt Ezio schließlich den Süden zu verlassen. Er reist weit in den Norden, nach Bozen und wird Apfelpflücker und Melker. Seine große Liebe unvergessen im Gepäck bleibt er Junggeselle, holt sich Wärme beim Melken der Kühe, fühlt sich mit den Apfelbäumen verbunden. „Er war nicht unglücklich, aber bei Weitem nicht vollständig“.

Giovanna wiederum bricht nach Ezios Weggang vielen, jungen Männer das Herz, liebt nur das Meer und ihre Freiheit. Aber mit den Jahren erleidet sie auch Tiefschläge und immer mehr spürt sie, dass etwas fehlt. „Dann kam die Sehnsucht aus dem tiefen Brunnen der Vergangenheit“

Das Leben von Ezio und Giovanna wird immer abwechselnd erzählt. Die Erzählung flattert regelrecht zwischen ruhig und beständig, wild und ungebunden, fröhlich und traurig. Fast wie ein Spiegelbild der beiden Charaktere. 

Und dann erhält Ezio sechs Jahrzehnte später, er ist inzwischen 84, einen Brief von Giovanna. Sie gesteht ihm nach mehr als einem halben Menschenleben endlich ihre Liebe, die Sehnsucht nach ihm ein. Und bittet um ein Wiedersehen. Sehr berührend ist diese späte, zarte Annäherung. Und tatsächlich macht Ezio sich auf den Weg zurück. Zurück in den Süden, aber auch zurück in seine Vergangenheit. Ängste auf beiden Seiten erwachen angesichts des betagten Alters. Wieviel des „heißen“ Sommers ist noch im Gepäck, wieviel unvergessene Glücksmomente. Wie wird es sein sich Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, gebrechlich, faltig am Ende des Lebens stehend. Was ist geblieben, was darf noch kommen?

100 Seiten, die mehr als von einer großen Liebe erzählen: von Beständigkeit, Kapriolen des Lebens, von Zufällen. Und nicht zu vergessen, geschickt eingeflochten auch von der Entstehung des Bikinis!