Fluchtnovelle

von Thomas Strässle, Suhrkamp

Kürzer als ein Roman, länger als eine Kurzgeschichte: Thomas Strässle erzählt die Fluchtgeschichte seiner Eltern zur Zeit des kalten Krieges. Kennen- und lieben gelernt haben die beiden sich in Prag: Die 21jährige Mutter aus der DDR, der 23jährige Vater aus der Schweiz. Die junge Liebe hat nur ein Ziel: Raus aus dem Osten, ein Leben in der Schweiz. Zwei Risiken für so junge Menschen: Erst die Flucht und dann das neue Leben: Was wird es mit ihnen machen. Die junge Frau wird alles zurücklassen. Ihre Mutter, Freunde, das Ost-Leben, womit sie zufrieden war. Sie geht nur aus Liebe.

Diese Flucht aus dem System der DDR wird keine mit Heißluftballon, Tunnel oder Kofferraum. Der Autor beschreibt hier einen Plan hochintelligenter, perfide ausgetüftelter Kopfarbeit „Man konnte das System nicht unterlaufen, indem man von innen her gegen die Mauer anrannte, die es um sich zog und die zu sichern es jede erdenkliche Anstrengung unternahm. Man musste es aus der entgegengesetzten Richtung angehen: bei der Einreise, nicht bei der Ausreise“.

Unglaublich, diese „entgegengesetzte Richtung“ mitzugehen. Der Vater beobachtet, recherchiert, besorgt einen Schweizer Pass (die Mutter soll als Schweizer Touristin ausreisen, mehr verrate ich nicht), tüftelt und bastelt Stempel, bereitet alles „fast“ perfekt vor.Und der Leser denkt immer wieder: Das kann doch nicht klappen! Ganz pragmatisch beschreibt Strässle diesen Prozess. Und doch spürt man den Stolz als Sohn. Immer wieder wird die Spannung durch Passagen mit rechtlichen Gesetzesauszügen unterbrochen. Ebenso mit Dialogen seiner Eltern, inzwischen hochbetagt und nicht immer einer Meinung in ihren Erinnerungen. Dieses Werk hat die Spannung eines Krimis, manchmal bleibt der Atem weg. Ständig die Gefahr aufzufliegen, bespitzelt zu werden.  Momente wo nichts klappt, wie es sollte. Flucht war ja schwerstes Verbrechen. Alles was Thomas Strässle erzählt ist wahr, nichts erfunden. Fesselnd und sehr beeindruckend. Kleines Buch, großer Inhalt.