BIN DAS NOCH ICH. 

BIN DAS NOCH ICH. Ein Satz, mit dem sicher jeder in seinem Leben konfrontiert wird. Im Guten, wenn etwas positiv Unerwartetes oder Überraschendes mit uns passiert. Und Stolz einhergeht.

Manchmal aber auch, wenn das gewohnte Leben, die eigene Hauptrolle plötzlich komplett in Frage gestellt werden. Garnicht durch eine offensichtlich laute, große Katastrophe, kein Todesfall, kein Unfall, kein Erdbeben.

Den Schicksalsschlag des Geigers und Berufsmusiker Simon führen lediglich zwei Finger herbei.

Nach der Corona Zwangspause ist Simon glücklich endlich wieder auftreten zu können. Er reist nach Finnland zu einem Musikfestival, freut sich auf den Auftritt im Orchester und ein Geigen-Solo. Auch, wenn ihn seit kurzem die Sorge um seine linke Hand umhertreibt.

Und das Schlimmste, was einem Geiger passieren kann tritt ein. Bei dem Soloauftritt erstarren wiederholt links zwei Finger. Das Konzert wird abgebrochen. Er stürzt komplett in einen Abgrund, den totalen Kontrollverlust seiner Identität. Wie soll es weitergehen. Er ahnt und weiß es eigentlich schon: Das ist kein einmaliger Vorfall, sondern eine nicht reparabler, neurologischer Defekt. Was bleibt von ihm übrig?

Eine Berufskollegin erfasst die Situation schnell und bietet ihm an, vorerst in ihrem Häuschen auf einer einsamen Schäreninsel zu wohnen. Um Klarheit über die Situation zu bekommen und Antworten zu finden. Da er keine Alternative sieht, lässt er sich darauf ein.

Simon ist komplett sich selbst überlassen und vor allem gnadenlos mit sich selbst konfrontiert. Da sind vornehmlich nur das Meer, das Häuschen mit Holzofen, kein fließend Wasser und begrenzte Lebensmittel. Sogar sein Handy fällt aus. Kann eine Insel einem helfen, wieder Herr über sein Leben zu werden, weil sie klar umgrenzt ist und man sich deshalb nicht so winzig vorkommt, trotz des großen Meeres ringsum?

Er lernt Holzhacken, Feuer machen, die Stille und Natur kennen. Hier möchte ich erwähnen, dass der Autor Stefan Moster Hobby-Ornithologe ist und es ihm mit seinen einfühlsamen Beobachtungen der Vogel- und Inselwelt meisterhaft gelungen ist zu beschreiben, wie ein Mensch sich neu wahrnimmt.

Simon lässt sich nach und nach auf diese pure Situation ein, befreundet sich mit einem brütenden Sturm-Möwenpaar, so dass zwischen ihm und den scheuen Vögeln sogar Vertrauen wächst. All das ist so intensiv beschrieben, dass ich mich wie auf der Insel anwesend fühlte.

In seiner existenziellen Krise setzt Simon sich gedanklich intensiv mit Musikern wie Bach und Bartok auseinander, die auch schwere Schicksale akzeptieren mussten und ihren Weg fanden. Erstaunlich und ergreifend, was man über diese Musiker erfährt. 

Mehrfach greift Simon zur Geige. Aber die Finger verweigern. Und wieder der Gedanke: Wieso kann ein winziger Defekt das Bild, das er von sich hatte zunichte machen. Wenn er kein Musiker mehr ist, was ist er dann?

Aus Tagen werden Wochen. Simon verlängert er seinen Aufenthalt wieder und wieder. Er lässt sich ein, sucht Antworten. Fragt das Meer: »Der Mensch, der hier vor dir steht: Wer ist das?«.

Und wenn er zeitweise nackt herumläuft oder baden geht, steht das meinerseits für mehr. Da steht ein Mensch und stellt sich.

Die große Frage, wie und ob man sich nach einem Schicksalsschlag neu erfinden kann, bleibt ohne endgültige Antwort. Auch für Simon. Aber einen Satz von ihm möchte ich zum Schluss, als er die Insel endgültig verlässt, zitieren: „Ich glaube ich kann damit leben, ich weiß nur noch nicht wie!“

Wie hoffnungsvoll, dass ein Mensch zu dieser Erkenntnis kommt. 

Tja, und dann ist das Buch zu Ende. Nein, nichts ist zu Ende, es geht weiter!